Rückenfit-Programm „Lebenslust statt Krankheitsfrust“

Zusammenfassung

Das multimodale Therapieprogramm „Rückenfit“ ist auf ein stationäres oder teilstationäres Setting ausgelegt und richtet sich an Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen und psychischen Belastungen. Das Programm ist engmaschig auf das gesamte Behandlungskonzept abgestimmt und betrifft daher nicht nur die psychologische und die physiotherapeutische Behandlung, sondern auch individuelle Therapien, die Diagnostik, den Sozialdienst und Maßnahmen der beruflichen Orientierung. Das Training zielt darauf ab, die Eigenverantwortung der Patienten und den Spaß an der Bewegung zu erhöhen und somit die Patienten zu einer aktiven Mitarbeit und einem lösungsorientierten Umgang mit ihren schmerzbedingten Beeinträchtigungen anzuregen. Es besteht hauptsächlich aus einem psychologischen und einem sporttherapeutischen Teil, die bei um acht begleitende Module ergänzt werden und sich auf das genannte, erweiterte Behandlungsspektrum beziehen. Inhaltliche Schwerpunkte des psychologischen Teils sind Schmerzbewältigung, Umgang mit Frust, Umgang mit Schlafstörungen, Genuss & Genießen und Stressbewältigung. Der sporttherapeutische Teil umfasst die Themen Umgang mit eigenen Kräften, Stretching, Erlebniswelt Wasser, Gleichgewicht und Problemlösung. Das Programm ist auf 23 Trainingseinheiten konzipiert und wird für eine Gruppe von 6 bis 12 Teilnehmern empfohlen. Evaluationsstudien liegen vor.

Autoren Maria Quatmann, Susanne Dibbelt, Bernhard Greitemann, Stephan Panning, Wilhelm Kaiser, Christina Ilger, Mechthild Frische, Stephanie Fröhlich, Ilka Ketteler – Beratung zur Manualerstellung: Zentrum für Patientenschulung, Würzburg – Förderung: Verein zur Förderung der Rahabilitationsforschung e.V. Norderney
Lizenzhinweise bei den Autoren erhältlich
Bezugsquelle Quatmann, M., Dibbelt, S., Greitemann, B., Panning, S., Kaiser, W., Ilger, C., Frische, M., Fröhlich, S., & Ketteler, I. (2011). Rückenfit Programm „Lebenslust statt Krankheitsfrust“. Rehaklinikum Bad Rothenfelde – Klinik Münsterland Auf der Stöwwe 11 49214 Bad Rothenfelde
Kosten Unkostenbeteiligung (bitte direkt unter obiger Adresse erfragen)
Schlagworte Orthopädie, berufliche Orientierung, integriertes Konzept, Rückenschmerzen
Stand Version 2011

Ziele und Inhalte

Zielgruppe des Programms
Fachgebiet/Indikation Orthopädie, Rheumatologie
Thema/Erkrankung Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und maladaptiver Schmerbewältigung sowie psychischen und sozialen Belastungen oder einer erheblichen Gefährdung der Erwerbstätigkeit.
Zielgruppe des Programms Erwachsene
besondere Zielgruppenkriterien Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und maladaptiver Schmerzbewältigung sowie psychischen und sozialen Belastungen oder einer erheblichen Gefährdung der Erwebsfähigkeit.
Ausschlusskriterien Radikuläre Reizungen, kurzfristig zurückliegende Operationen (<4 Wochen), akute entzündliche Veränderungen an der Wirbelsäule, Tumore, akute Erkrankungen aus dem psychotischen Formenkreis, mangelnde Gruppenfähigkeit, generalisierte Erkrankungen, die die Gruppenfähigkeit einschränken, mangelhafte Sprech- und Hörfähigkeit, mangelhafte Sprachkenntnisse
Durchführung und Themen
Setting ambulant und stationär umsetzbar
Teilnehmerzahl 6 – 12 Teilnehmer
Anzahl der Einheiten
  • 12 Grundmodule, jeweils eine Einheit
  • 3 Begleitmodule, jeweils eine Einheit
  • 2 Begleitmodule, jeweils vier Einheiten
Dauer der Einheiten 60-90 Minuten (Grundmodule), 60 bzw. Minuten (Begleitmodule)
Frequenz der Einheiten 2 Wochen
Ziele und Inhalte
Ziele des Programms
  • Wissenserwerb
  • Einstellung zu gesundheitsgerechtem Lebensstil
  • Training von Fertigkeiten
  • Training der (krankheitsbezogenen) sozialen Kompetenz
Inhalte Die Ziele des Trainings beziehen sich auf die Aspekte Compliance, Selbstmanagement und Empowerment. So soll das Training die Eigenverantwortung der Patienten un den Spaß an der Bewegung erhöhen und somit die Patienten zu einer aktiven Mitarbeit und einem lösungsorientierten Umgang mit ihren schmerzbedingten Beeinträchtigungen anregen. Die Patienten sollen lernen, sich als Experte für ihre Erkrankung zu verstehen, ein modifiziertes Verhalten im Umgang mit Schmerz zu entwickeln, eigene Ressourcen zu erkennen und an ihren persönlichen Gesundheitszielen zu arbeiten.
  1. Einführungsmodul: Einführung, Kennenlernen
  2. Grundmodul: Schmerzbewältigung
  3. Grundmodul: Umgang mit Frust
  4. Grundmodul: Umgang mit Schlafstörungen
  5. Grundmodul: Genuss und Genießen
  6. Grundmodul: Stressbewältigung
  7. Grundmodul: Mit eigenen Kräften umgehen
  8. Grundmodul: Stretching
  9. Grundmodul: Erlebniswelt Wasser
  10. Grundmodul: Im Gleichgewicht sein
  11. Grundmodul: Mit Lust und Spaß Probleme lösen
  12. Begleitmodul: Aquafitness
  13. Begleitmodul: Theraband
  14. Begleitmodul: Rückenschmerzen und ihre Ursachen
  15. Begleitmodul: Beruflichte Orientierung Teil 1
  16. Begleitmodul: Berufliche Orientierung Teil 2
  17. Abschlussmodul: Bilanz und Ausblick
Anmerkungen zu Zielen und Inhalten Das Programm ist eng mit dem Behandlungskonzept der Klinik verzahnt. Die Abstimmung mit den anderen Behandlungsbausteinen ist im Manual beschrieben. Die Lernziele für alle Module sind im Manual formuliert. Das Rückenfit-Programm ist auch gut in Programme zur Medizinisch-berufliche orientierten Rehabilitation (MBOR) integrierbar.

Didaktik und Methoden

Benutzte Methoden
Methodenliste
  • Vortrag
  • Diskussion
  • Verhaltenstraining oder Übung oder Rollenspiel
  • Kleingruppenarbeit
  • Einzelarbeit
Anmerkungen zu Methoden Als roter Faden, der sich durch die Grundmodule hindurchzieht, wurde das Symbol der sogenannten „Gesundheitswaage“ gewählt, auf deren Waagschalen die krankheitsfördernden Prozesse als Teufelskreis und die gesundheitsfördernden Prozesse als positive Entwicklungskreise dargestellt sind.
Strukturierungsgrad
Gruppenstruktur geschlossen
(Detailtiefe der Vorgaben, die vom Konzept formuliert werden)
Strukturierungsgrad Methoden hoch
Strukturierungsgrad Zeit mittel
Strukturierungsgrad Struktur mittel
Anmerkungen zur Struktur und Flexibilität Es wird empfohlen, die Grundmodule in der dargestellten Reihenfolge durchzuführen, weil die Themen zum Teil aneinander anknüpfen bzw. aufeinander aufbauen. Die Begleitmodule können flexibel innerhalb des Programmablaufs verteilt werden, da sie eine Ergänzung zu den Grundmodulen darstellen.
Einbindung externer Ressourcen
Nachsorgemaßnahmen k.A.
Vorbereitungsmaßnahmen Das Manual beschreibt die Bedeutung der Eingangsdiagnostik für die Zuweisung zum Rückenfit-Programm in der Klinik Bad Rothenfelde. Ein ärtzlicher Vortrag „Rückenschmerzen und ihre Ursachen“ ist auf das Rückenfit-Programm abgestimmt; zwei weitere begleitende Veranstaltungen erweitern die Schulungsinhalbe um Aspekte der Teilhabe und des Rentenrechts.
Einbezug von Angehörigen k.A.
Maßnahmen zum Alltagstransfer k.A.
Einbezug von Selbsthilfeorganisationen k.A.
Anmerkungen zu externen Ressourcen Während der gesamten Programmdauer finden regelmäßige wöchentliche Teamsitzungen statt (RF-Team), in denen die am Programm beteiligten Therapeuten die Entwicklung und Fortschritte jedes einzelnen Teilnehmers besprechen. Außerdem werden in diesem Rahmen auch Aspekte zur Weiterentwicklung des Programms besprochen.

Rahmenbedingungen

Angaben zu den Dozent:innen
Dozent:innen Psychologen; Ärzte; Sport-/Physiotherapeuten; Sozialarbeiter – zwei konstante Therapeuten
Qualifikation des Personals Neben fachspezifischem Know-How und Erfahrungen in der Behandlung/im Umgang mit Patienten mit chronischen Rückenschmerzen benötigen die Dozenten vielfältiges pädagogisches Wissen, methodisch-didaktische Kompetenzen sowie kommunikative Fähigkeiten.
Besonderheiten zum Personal Das Programm sieht regelmäßige (wöchentliche) Teambesprechungen vor
Ausstattung und Material
Materialien der Schulung

Zur Umsetzung stehen Powerpoint-Folien und Informationsblätter zur Verfügung sowie ein Patienteninformationsheft, das die wichtigsten Inhalte der Module zusammenfasst, Übungen für zu Hause aufführt und weiterführende Adressen und Literatur angibt.

räumliche Voraussetzungen Gruppenraum, Gymnastik/-halle, Schwimmbecken
Besonderheiten zur Ausstattung
  • Laptop; Beamer
  • Flipchart
  • CD-Spieler + Entspannungsmusik
  • Digitalkamera
  • Skelett; Holzstäbe; Posturomed; Krone; 1 langer, dünner Rundstab
  • Stehpult; Hocker; Thron
  • Materialien für die Kursteilnehmer (Arbeitsblätter, Informationsblätter, Schaubilder)
  • Etwas zum Genießen (z.B. Schokolade, Obst, Parfümproben)
  • Utensilien für Übungen im Gymnastikraum: Gymnastikmatten; Kissen; Handtücher; Federballspiel; Korbballständer mit 2 Softbällen; Tischtennis-Spiel; Wasserball; Indiaca-Spiel; Fußball mit 4 Slalomhütchen; Curling-Spiel; Schwungtuch; Therabänder; Pedalo; Gleichgewichtskreisel; Langbank; Gewichtegürtel oder Rucksack mit Hanteln (10kg), 2 Tellerjonglage-Sets, 4-6 Sprungseile
  • im Schwimmbad vorhandene Übungsmaterialien wie Schwimmbretter, Bälle, Wassernudeln, Wasserhanteln, etc.

Evaluation und Publikationen

Zusammenfassung der Evaluation

Quelle

Institut für Rehabilitationsforschung Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde

Publikation:
Dibbelt S., Greitemann B. & Büschel C. (2006) Nachhaltigkeit orthopädischer Rehabilitation bei chronischen Rückenschmerzen-Das integrierte orthopädisch-psychosomatische Behandlungskonzept (IopKo). Rehabilitation 45, 324-335.

Beteiligte Gefördert durch den Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung Norderney e. V., assoziiertes Projekt im Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Nordrhein?Westfalen
Setting monozentrische Studie
Art der Evaluation summative, externe Evaluation
Design kontrollierte prospektive Bewertungsstudie
Stichprobe Rehabilitationspatienten
Kontrollgruppe Die Teilnehmer der Studiengruppe erhielten neben einem individuellen Behandlungsprogramm die Maßnahmen des Rückenfit-Programms, während diese zur Erhebung der Kontrollgruppe ausgesetzt wurden. Die Daten für die Kontroll? und Studiengruppe wurden alternierend in Zeitblöcken von drei Monaten erhoben.
Gruppenzuweisung alternierende Rekrutierung (im 3-Monats-Wechsel) mit zweiwöchigen „Auswaschphasen“ zwischen den Rekrutierungsphasen
Gruppengröße n = 482,
n (Studiengruppe) = 307,
n (Kontrollgruppe) = 176,
Abbrecherquote: 49 %
Messzeitpunkte t0: vor der Rehabilitation
t1: Ende der Rehabilitation
t2: 3 Monate nach Entlassung
t3: 10 Monate nach Entlassung
Erhebungsinstrumente
  • IRES (Indikatoren des Reha-Status)
  • KKG (Kontrollüberzeugungen zu Krankheit und Gesundheit)
  • TSK (Trierer Skalen zur Erfassung der Krankheitsbewältigung)
  • HAKEMP (Fragebogen zur Handlungskontrolle)
  • FEW (Fragebogen zur Erfassung körperlichen Wohlbefindens)
  • FREM17 (Fragebogen zu Erwartungen in der Reha, Inanspruchnahme medizinischer Leistungen)
  • FVA (Fragebogen zum Verhalten im Alltag)
  • Mainzer Stadiensystem der Schmerzchronifizierung nach Gerbershagen
  • Ärztefragebogen
Primäre Zielgrößen

Wichtigste Zielgröße war der Reha-Status (Mittelwerte der IRES-Indikatoren). Patienten der Studiengruppe waren zu den zwei Katamneszeitpunkten bezüglich des Reha-Status im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant verbessert (bei mittleren bis großen Effektstärken in den drei IRES-Dimensionen funktionaler, somatischer und psychosozialer Status).

Einschränkungen der Funktion, Schmerzen und psychische Belastungen hatten sich zu Ende des stationären Aufenthaltes und auch 10 Monate danach in der Studiengruppe stärker reduziert als in der Vergleichsgruppe. Die Arbeitsunfähigkeitstage hatten sich 10 Monate nach Entlassung im Vergleich zu einem analogen Zeitraum vor der Reha um 75% reduziert.

Weitere Zielgrößen Verbesserungen zeigten sich auch bei Schmerzen, Funktion, psychische Belastungen und Arbeitsunfähigkeitstage
Nicht signifikante Ergebnisse In Bezug auf die Schmerzbelastung verbesserten sich beide Gruppen, Kontroll? und Studiengruppe, erheblich, aber ohne Unterschied;
Sonstiges

In einer Teilstichprobe wurden Patienten mit fortgeschrittener Schmerzchronifizierung oder hohem Chronifizierungsrisiko untersucht. Neben den Effekten der gesamten Stichprobe verbesserten sich diese Patienten stärker im Hinblick auf Depressivität und die psychische Belastung.

Eine Analyse zur Kosteneffizienz konnte zeigen, dass sich die Maßnahmen des IopKo?Programms trotz erhöhter Kosten im Hinblick auf zentrale Outcomeparameter, nämlich die Reduktion der AU?Tage, die Verbesserung des Reha?Status, die Schmerzreduktion und die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, dem Standardprogramm als überlegen erwiesen.

Diskussion

Da das Rückenfit-Programm sehr stark in das gesamte Rehakonzept integriert ist, ist eine Identifikation der wirksamen Elemente (Module zur beruflichen Orientierung, die multiprofessionelle Diagnostik und Zuweisung oder die Therapieprogramme Rückenfit und Rückentraining) bzw. deren Vergleich nicht möglich.

Die Studie liefert Hinweise auf veränderte Schmerzstrategien und Kontrollüberzeugungen bei den Teilnehmern des Rückenfit-Programms, die einen (stärkeren) Zuwachs an Handlungsorientierung und internaler Kontrollerwartung aufweisen.

Kritisch diskutiert wurde die hohe Abbrecherquote, die auf eine Auswahl „zufriedener“ Rehapatienten hindeuten könnte. Diskutiert werden auch eine Reihe weiterer Faktoren, die die Ergebnisse beeinflusst haben könnten (Spontanremissionen, Regressionseffekte, Trends in der rehabilitativen Versorgung).

Train-the-Trainer

spezifisches TTT vorhanden? nein
Informationen zum TTT Bisher gibt es kein spezifisches Dozenten-Training für das Rückenfit-Programm. Es besteht aber die Möglichkeit, zu hospitieren und die gefilmten Programmeinheiten auf DVD zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Anmerkungen zum gesamten Programm

Das Manual wurde im Rahmen des Projektes „RüMan“ (Manualerstellung für das Rückenfit-Programm) erstellt und vom Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung e. V. Norderney gefördert.

Stand des Eintrags: 28.09.2022